Herz aus Basaltstein und Moos
Herz aus Basaltstein und Moos

Wir trauern dann, wenn der/das Verlorene für unser Leben in besonderer Weise prägend und bedeutsam war. Oft ist es der Tod eines nahestehenden Menschen, der uns trauern lässt. Aber auch andere grundlegende Veränderungen können Trauer in uns auslösen, z. B. Trennung und Scheidung, Verlust von Arbeit, Gesundheit, Fähigkeiten, Heimat und Hoffnungen.

Trauer ergreift den Menschen ganz: in Gefühlen und Gedanken, im Körper, im sozialen Verhalten, im eigenen Selbstbild sowie in grundlegenden Werten und Überzeugungen. Dabei ist Trauer sehr individuell: Jeder Mensch erlebt und gestaltet seine Trauer anders, in seiner eigenen Zeit.

Trauer als Weg

Auch wenn es sich vielleicht nicht so anfühlt – Trauern ist ein prozesshaftes Geschehen, ein Weg, der aktiv gegangen werden kann. Der Weg ist oft lang, mühevoll und voller Hindernisse. Er führt durch Schmerz, Traurigkeit, Verlassenheit, Sehnsucht, Sinnlosigkeit, Überforderung, Angst, Schuld ...  Es ist schwer dieses innere Chaos und die eigene Orientierungslosigkeit auszuhalten und zu durchleben. Immer deutlicher wird dabei, dass der verstorbene Mensch nie mehr wiederkommt, dass das Verlorene nicht zurückkehrt.

In einem schmerzlichen Realisierungsprozess setzen sich Trauernde Schritt für Schritt mit dem Verlust auseinander. Ganz allmählich lernen sie sich zurechtzufinden – in einem Leben, das zum Teil radikal verändert ist. Vieles ist verloren gegangen, aber einiges bleibt auch – Erinnerungen, Erfahrungen, Erschaffenes und Geschafftes, Gelerntes, persönliche Spuren ...

Liebe und Verbundenheit suchen die Nähe zum verstorbenen Menschen bzw. dem Verlorenen. In einer Art Beziehungsprozess entwickelt sich eine bleibende innere Verbindung, die gelebt und gestaltet werden kann. Mit dieser „Sicherheit im Herzen“ kann neuer Raum entstehen: für Ideen und Interessen, für Kontakte und Beziehungen, für Neuausrichtung und Zufriedenheit.

Erschwerte Trauer

Jede/r Trauernde entwickelt seine individuellen Bewältigungsstrategien, um den Verlust zu verarbeiten. Praktische und emotionale Unterstützung erhalten viele in ihrer Familie oder in ihren sozialen Netzwerken.

Risikofaktoren können die Trauer zusätzlich erschweren, insbesondere dann, wenn sie die vorhandenen Ressourcen des/der Trauernden weit übersteigen. Risikofaktoren können z. B. sein:

  • schwierigste Erfahrungen und Bilder im Sterbeprozess
  • plötzliche oder mit Gewalt verbundene Todesursachen (u.a. Suizid, Unfall)
  • das Sterben eines Kindes
  • Verlust bei Schwangerschaft, Geburt oder durch den Abbruch einer Schwangerschaft
  • mangelnde Unterstützung im Umfeld oder sozial aberkannte Trauer
  • sehr enge, intensive Beziehungen
  • konflikthafte, hochambivalente oder sehr abhängige Beziehungen
  • unverarbeitete Verlusterfahrungen in Kindheit und Jugend
  • Persönlichkeitsmerkmale, wie rigides Selbstbild, geringe Ich-Stabilität, unsichere frühe Bindungserfahrungen
  • uneindeutige Verluste
  • Verluste mit konkreter Mitverantwortung

Trauerbegleitung

Erschwert Trauernde profitieren im besonderen Maße von Trauerbegleitung in Einzelgesprächen oder Gruppen

Komplizierte Trauerverläufe

Komplizierte Trauerverläufe zeigen sich in langanhaltendem intensivem Trauerschmerz (Wund-Sein, Verlassen-Sein, anhaltende Verzweiflung, unstillbare Sehnsucht), starkem Körperschmerz oder quälenden heftigen Gefühlszuständen.

Sie können auch in Stillstand, Einseitigkeit, Vermeidung oder einem Verharren in der Trauer sichtbar werden.

Dabei kommen der Intensität und Dauer eine entscheidende Bedeutung zu. Was z. B. im ersten Trauerjahr Teil des natürlichen Trauerflusses ist, kann darüber hinaus die weitere Verlustverarbeitung hemmen und zu einer großen Belastung werden. Insbesondere auch wenn dadurch das Weiterleben stark beeinträchtigt ist – sozial, beruflich und in der Alltagsgestaltung.

Gründe für komplizierte Trauerverläufe finden sich nicht selten auf der Beziehungsebene: Ungeklärtes aus dem Zusammenleben, Angst den verstorbenen Menschen zu vergessen oder sich illoyal ihm gegenüber zu verhalten, Schuldgefühle bei befürchteter oder konkreter Mitverantwortung am Tod ...
Auch schwierigste Todesumstände, starke persönliche Belastungen oder die Reaktivierung von frühen schweren Verlusten können Komplkationen zur Folge haben.

In einem trauerspezifisch ausgerichteten therapeutischen Prozess können Konflikte bearbeitet und Blockaden gelöst werden. Das therapeutische Ziel besteht nicht darin, die Trauer vollständig zu beenden. Die Integration des Verlustes steht im Vordergrund, der verstorbene Mensch erhält im eigenen Weiterleben einen sicheren und angemessenen „neuen Platz“. Die schmerzhafte und festhaltende innere Ge-Bundenheit kann sich lösen. Eine Weiterentwicklung hin zu einer gelösten und gelassenen inneren Ver-Bundenheit wird möglich.

Der Trauerschmerz kann sich auch danach noch zeigen, aber er verliert seine hemmende und leidvolle Wirkung.

Trauerspezifische Psychotherapie

Traumatische Trauer

Viele Trauernde kennen wiederkehrende Bilder und belastende Erinnerungen, die im Zusammenhang mit dem Verlust stehen. Diese können sehr quälend sein. Wenn die eigenen Bewältigungsstrategien ausreichen, werden ihre Auswirkungen mit der Zeit schwächer und treten in den Hintergrund.

Wenn sie jedoch unvermindert anhalten, kann dies auf traumatische Trauer hindeuten. Charakteristisch sind unwillkürliche, mit starken Gefühls- und Körperreaktionen verbundene Erinnerungsblitze, eine durchgehend hohe Angespanntheit, ausgeprägtes Vermeidungs- oder Wiederholungsverhalten, Emotionslosigkeit oder überschwemmt werden von Gefühlen beim Erzählen von Erinnerungen.

Das traumatische Geschehen kann die Erinnerung an das gemeinsame Leben „blockieren“. Eine Beschäftigung mit dem verstorbenen Menschen, der Beziehung und den vielen angenehmen Erinnerungen ist kaum möglich. Das Leben erscheint in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als sinnlos. Das neue Selbstbild ist geprägt durch Ohnmacht und Versagen.
Die verlustbezogene Trauerarbeit und die Anpassung an die veränderte Lebenssituation sind erheblich beeinträchtigt. 


Trauerbegleitung kann zur Stabilisierung und zur Stärkung von Ressourcen beitragen. Das behutsame, schützende und haltgebende Vorgehen lässt Erinnerungen als aushaltbar erleben.
Die ganzheitliche Erinnerungsarbeit an den verstorbenen Menschen selbst wird gefördert. Dessen Leben war und ist so viel mehr als die dramatischen Umstände seines Todes.

Die Bearbeitung der traumatischen Erlebnisse erfordert eine traumaspezifische Psychotherapie und ist häufig erst nach längerer Zeit möglich.

Nicht müde werden, sondern dem Wunder leise, wie einem Vogel, die Hand hinhalten. Hilde Domin